Bilk van Willich
Entschuldigen Sie
Ich entschuldige mich bei Ihnen, daß ich lebe. Man ist ja eine Belastung für die anderen, für die Umwelt und so. Diese Last zu tragen ist ja auch nicht einfach. Außerdem schreibt es ja der neue Knigge so vor. Jetzt soll man sich ja entschuldigen, wenn man niest. Da man ja für das Niesen nicht die geringste Schuld trägt, heißt das ja wohl, daß man sich dafür entschuldigt, daß man überhaupt lebt.
Aber man hat ja allerhand Grund, sich zu entschuldigen. Die Welt geht zum Teufel, das Klima und die Umwelt. Entschuldigung, ich habe mich natürlich wieder unkorrekt ausgedrückt, die Welt bleibt natürlich da, aber der Rest? Man müsste viel mehr tun, um die Umwelt zu erhalten. Früher war man viel engagierter, aber heutzutage nichts als schlechtes Gewissen. Sicher, ich habe mir einen A+ Kühlschrank angeschafft. Entschuldigung, aber ich habe nicht soviel Geld für A++, die Waschmaschine ist auch nur doppelt A. Gut, ich habe nur Energiesparlampen und Steckerleisten zum Abstellen, damit die Geräte auch im Standby keinen Strom verbrauchen. Aber ich habe immer noch keinen Ökostromanbieter. Entschuldigung.
Ich würde gerne mal so richtig durchgreifen. Tempolimit, nur Verkauf von A+++ Geräten, Verbot von Fernflügen zum Spaß, Verbot von AKW’s, Alternative Energien für alle. Und Fahrer von Geländewagen und Porsches, drei Monate Knast, im Wiederholungsfall noch viel mehr. Ich klammere mich daran fest, daß das helfen würde. Aber entschuldigen Sie meine Ohnmacht.
Das Problem fängt da aber vielleicht erst an. Hoffnungen und Befürchtungen gehen einher mit der Frage, ob das überhaupt noch etwas bringt. Und meine Befürchtung ist – obwohl sich die Hoffnung noch daran klammert – der Zug ist abgefahren. Die Menschheit bekommt die Klimaerhöhung nicht mehr in den Griff. Zwei Grad Temperaturerhöhung wird das Raubtier Mensch lässig verfehlen. Neun Milliarden Menschen sind für diesen Planeten viel zu viel. Und ich fürchte, daran würde eine Seuche wie die Pest weltweit auch nichts mehr ändern. Entschuldigen Sie, daß ich so etwas überhaupt zu denken wage, ich weiß, das gehört sich nicht. Also wird der Planet wohl einen Kollaps bekommen müssen, um ohne die Menschheit überleben zu können. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie jetzt erschreckt haben sollte – ich meine natürlich nicht ganz ohne Menschen. Vielleicht 50 Millionen weltweit, soviel könnte die Erde vertragen. Anpassungsfähig, als Eskimo oder Tuareg, ohne industriellen Komplex, ohne Dominator dieses Planeten zu sein.
Die andere Möglichkeit ergibt sich vielleicht aus einer ganz anderen Richtung. Von allen Richtungen über den Tod hinaus, neige ich am meisten zum Gedankengut der Wiedergeburt – wobei ich mich nochmals ausdrücklich dafür entschuldigen möchte, daß Sie sich mit meinem Glaubenssystem befassen müssen. Wenn ich also in einem nächsten Leben wiedergeboren werden und einfach akzeptieren kann, daß der Zug abgefahren ist, dann könnte ich ja Porschefahrer werden, denn das macht auch nichts. Und ich werde mich dann dafür entschuldigen, daß ich dies nicht schon in diesem Leben gewesen bin.
Bilk van Willich (Notizen) an Sonntag, 7. August 2011 um 19:27