Elbinsel, 27.07.2024
Wilhelmsburger Kunstbüro und Freunde Wilhelmsburger Kunstbüro und Freunde
 
* Versuchen wir, der Situation positive Aspekte abzugewinnen – trotz des Gefühls, „nur eine austauschbare Nummer“, ein Stück Ware zu sein: Die vom Kapitalismus geprägten Märkte und Lebensweisen beinhalten Nischen und erzeugen diese aufgrund ihrer Gesetzmäßigkeiten immer wieder von Neuem. Als Nischen bezeichne ich Bereiche bzw. Lücken im gesellschaftlichen Leben, die nicht oder nicht vollständig kontrollierbar sind. Diese Bereiche bedeuten für die, die sie besetzen, Chancen, Möglichkeiten, Freiräume zur Entfaltung.
Die Expansion wie Perfektionierung elektronischer Medien und Erfindungen wie das Internet haben zur explosionsartigen Vermehrung der Möglichkeiten geführt, sich zu informieren, Infor-mationen miteinander zu verknüpfen und weiterzugeben, mithin Neues entstehen zu lassen etc.  
Auch eine Website stellt eine Nische dar, einen Freiraum. Ich nutze diesen seit gut zwei Jahren, um auf www.raimundsamson.com Fotos, Texte (Statements, Buch- und Zeitschriften-Besprechungen, Erzählungen, Gedichte u.a.), Collagen, Zeichnungen usw. zu veröffentlichen. Geld verdiene ich damit nicht, aber: meine Blogs und Posts sind Übungen für mich, Training in und mit kreativen Mitteln. Ich nutze die Nische Internet, um meinen sprachlichen Ausdruck, Fähigkeiten zur Bildgestaltung, Verknüpfung verschiedener Medien, kommunikative wie intuitive Fähigkeiten zu verbessern bzw. anhand praktischer Versuche für mich zu überprüfen. Ich stoße an Grenzen, sowohl rechtlicher (Beispiel: Ein Fotograf wies mich darauf hin, daß ich ohne seine Genehmigung ein Foto für eine im Internet veröffentlichte Collage verwandte) wie sozialer, aber auch an eigene, vor allem psychologischer Art. Ich gehe bewusst an Grenzen, teste sie aus, entwickle Ehrgeiz, erweitere meinen Spielraum.
Veröffentlichungen sind Erfolge, weil es mir gelingt, der Einseitigkeit des mit Infos unterschied-lichster Art Überschwemmtwerdens (Input) etwas Eigenständiges entgegenzusetzen (Output). Die mit Output verknüpften Erfolgserlebnisse machen Mut. Damit ist natürlich nichts über die Qualität der Texte, Bilder usw. gesagt.
Unsere Arbeitsbedingungen, d.h. die Zeit und Energie, die wir für bezahlte Lohnarbeit aufbringen müssen, bestimmen wesentlich mit, ob und wieweit wir die erwähnten Nischen nutzen können. Daß in Zeiten von Kurzarbeit bzw. Massenarbeitslosigkeit das Internet zunehmend attraktiv wird, diverse Foren entstehen, Websites aufgebaut werden etc. ist eine Folge grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen. Stichwort „Von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft“.  Klar ist: Die Nutzung der neuen Medien bedeutet mehr und anderen Konsum, neue Spielmöglichkeiten usw. Die Gestaltung von Websites bedeutet aber auch Arbeit, eine Arbeit freilich, die mit Eigenver-antwortlichkeit, Eigenmotivation, eigenen Ideen verbunden ist.

* Nischen-Denken ist nicht neu. Es kam m.E, in den frühen 70-er Jahren auf, mit dem Entwickeln alternativer Produktions- und Lebensweisen, als eine Folge der 68-Rebellion. Nischen-Denken ist nicht auf Künstler, Philosophen, Außenseiter jeder Art beschränkt. Die IBA (Internationale Bau-Ausstellung) versuchte als staatliches Mammut-Projekt, basierend auf kapitalistischen Marktge-setzen und Mechanismen, einen Stadtteil modellartig umzukrempeln. Es gab auch Versuche, Nischen aufzubauen und Freiräume zu nutzen. Das aus einem IBA-Workshop entstandene KWW (KunstWerk Wilhelmsburg) war so ein Versuch von staatlicher Seite, Freiräume zu besetzen.nischen-plakat-wanderausstellung klein Der Ansatz, für ältere Arbeitslose Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, war gut gemeint. Das Ziel jedoch, vorübergehend Beschäftigte (1€-Jobber) dauerhaft in Arbeit zu bringen, wurde total verfehlt. Die IBA, die herausposaunte, daß sie auf „Kreativität“ und „Talente“ setze,  machte schwere Fehler. Sie schätzte die Situation in Wilhelmsburg von Vornherein falsch ein. Schon die Recherchen im Vorfeld waren schlampig.Selbstverständlich hätte aus dem KWW etwas werden können, nur: Es wäre mit viel Arbeit verbunden gewesen. Tatsächlich gearbeitet haben einige sehr wenige. Und deren Maloche wurde nicht respektiert. Es fehlten bei den meisten am KWW Beteiligten die Voraussetzungen, sowohl von der Motivation als auch von den kommunikativen Fähigkeiten her, um so ein Projekt groß zu machen. Und die IBA zeigte bis zuletzt, daß sie unfähig ist, Fehler einzugestehen. Es wäre aber falsch, ihr die Rolle eines Sündenbocks zuzuschieben.
Letztlich waren es die Arbeitslosen und beteiligte Beschäftigungs-Firmen wie SBB und AIW selbst, die den Karren gegen die Wand fuhren.

*** Was lernen wir daraus ?   
 
R.S.  6.10.201
 
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